Prosa

Die Mehrzahl von Heimat

Wissen Sie, wie man das beste Kebab-Sandwich zubereitet? Ich weiß es seit der Volksschule. Mein Freund Kemal hat es mir verraten. Es gibt drei Geheimnisse...

Der Stern vom Praterstern

„Ich dank Ihnen schön, Sie haben mir sehr geholfen. Was bin ich denn schuldig?“ Michael lächelte Gerti an. „Sie kennen doch mein Honorar.“ „Ich wollt nur wissen, obs nicht teurer geworden sind.“

Das letzte Wort

Fabian beobachtete das Pärchen, seit es bei der Oper in die Straßenbahn eingestiegen war. Unterer Mittelstand, beide ein wenig emotional verwahrlost, vermutlich gingen ihnen die letzten Anstandsregeln während Corona verloren.

Oberschildbach, Teil 1

Oberschildbach zu erreichen ist gar nicht so einfach. Wenn Sie von der Autobahn kommen, müssen Sie zuerst durch Schildbach durchfahren. Dann gleich nach der Ortstafel biegen Sie links ab in Richtung Unterschildbach. Lassen Sie sich nicht durch den Pfeil mit der Aufschrift „Oberschildbach“ irritieren.

Oberschildbach, Teil 2

„Herr Doktor Wackenreuther, schön, dass Sie den Weg zu uns nach Oberschildbach gefunden haben.“ Der Bürgermeister führte mich in sein Büro und bot mir einen Platz an seinem Besprechungstisch an. „Bitte entschuldigen Sie dieses Tohuwabohu, aber so geht es bei uns fast immer zu. Es wohnen viele große Geister in diesem Dorf.“

Oberschildbach, Teil 3

Die Bezeichnung „Ferienwohnung“ für meine neue Unterkunft war ein Euphemismus. Sie befand sich über einem Hühnerstall direkt unter dem Dach. Man erreichte sie über eine wenig vertrauenserweckende, zum Teil morsche Außenstiege. Auf ein Geländer wurde gänzlich verzichtet, was insofern nicht ins Gewicht fiel, weil die Stufen so steil angeordnet waren, dass die ganze Konstruktion sehr an eine Leiter erinnerte.

Oberschildbach, Teil 4

Meine ersten drei Wochen in Oberschildbach verliefen relativ ereignislos, auch wenn sie mit Arbeit vollgestopft waren. Jeder meiner Tage schien in einem fixen Raster gefangen. Ich stand um sieben Uhr auf, duschte und erschien Punkt halbacht in der Giebischschen Küche. Dort erwartete mich bereits eine Tasse Kaffee, eine Buttersemmel, ein weiches Ei und Hanni, die mir den neuesten Dorftratsch erzählte.

Oberschildbach, Teil 5

In meiner Zeit in Oberschildbach war ich meist mit drei Dingen beschäftigt: ich beobachtete, ich schrieb und ich las. Ich las sehr viel. Ich las vor allem unzählige Protokolle von Gemeinderatssitzungen und Antworten auf Briefe vom Gemeinderat, die er an Regierungen auf der ganzen Welt verschickte, um die, wie er meinte, genialen Ideen mit der Bevölkerung des gesamten Globus zu teilen. Und ich las alle Ausgaben des Oberschildbacher Boten.

Oberschildbach, Teil 6

„Und dein Vater hat bestimmt nicht dagegen?“ Ich war mit Hanni unterwegs zum Fußballplatz, wo die Probe der Blasmusik vermutlich schon in vollem Gange war. Wir hatten uns verspätet, weil uns Herr Giebisch, Hannis Vater, zuerst einen Vortrag über die Artgerechte Fütterung von Zebras und Bisons hielt.

Die Münze

„Nicht so!“ Selim klopft seinem kleinen Bruder Emre auf die Hand. Sofort beginnt der Knirps zu weinen. „Jetzt stell Dich doch nicht so an. Wenn das Papa gesehen hätte, hätte er fester zugeschlagen.“...

Mehmet und Emine

„Glaubst Du, Metin hätte diese Jäckchen gepasst?“ Mitternacht ist schon lange vorbei, doch die Touristenströme am Taksimplatz reißen nicht ab. Wie jeden Abend im Frühling, im Sommer und im Herbst sitzen Emine und Mehmet vor dem verschossenen Haustor. Sie häkelt, er sitzt neben ihr, passt auf sie auf. Am eisernen Gitter hinter ihnen, das kunstvoll geschmiedet ist und den Eingang zum Bürohaus versperrt, hängen an hölzernen Kleiderbügeln weiße Babywesten, blaue und rosafarbenen Strampelanzüge...

Der Amethystarmreifen

„Na, Faruk? Wieder viel zu tun heute? Die Kunden stehen Schlange.“ Faruk blickte kurz von seinem Handy auf. Sein Nachbar Omar stand neben seinem weißen Plastiksessel und hielt ihm eine Zigarettenpackung hin. „Wie immer.“ Faruk stand auf, nestelte ein Feuerzeug aus der Jean, gab zuerst Omar Feuer, nahm sich dann eine Zigarette aus der Packung und zündete sie sich an. „Du hast heute sicher auch schon fünf Teppiche verkauft.“

Paris

Er vermisst den Schranken. Früher wusste er, ob er laufen musste oder nicht. War der Schranken noch oben, konnte er sich Zeit lassen. Bog er bei der großen Kreuzung um die Ecke und der Schranken wurde gerade herunter gelassen, konnte er gerade noch vor der Schnellbahn über die Gleise huschen...

Der Kasperl ist tot

Walter hatte Zeit. Sein Chef hatte ihn für diesen Nachmittag frei gegeben. Es musste nicht mehr ins Büro. Auch Julia hatte Zeit, denn Walter hatte ihr für diesen Nachmittag frei gegeben. Sie musste nicht in den Kindergarten. Gemeinsam spazierten sie durch den Böhmischen Prater, genossen die Attraktionen, die er zu bieten hatte. ...

Die Spur im Schnee

Zuerst hatte er gedacht, dass die ganze Sache in zwei Wochen vorbei wäre. Zu Ostern hat die Regierung dann verlauten lassen, er müsse bis zum Sommer durchhalten. Zu Weihnachten durften sie wieder mit Masken einkaufen gehen. Das war vor drei Jahren.